Netzliteraturwissenschaft: Was wissen wir? Wie wissen wir? Was wollen wir wissen? | Allgemeine Informationen

Online-Konferenz im Rahmen der vDHd2021 | 6.-8. September 2021

Kurator: Prof. Dr. Thomas Ernst (Antwerpen/Amsterdam)

Seit 1969 gibt es das Internet, seit 1991 kann das World Wide Web genutzt werden, vor etwa fünfzehn Jahren etablierten sich die verschiedenen Plattformen der Sozialen Medien. Diese wuchernden Formen der digitalen Kopien und der vernetzten Kommunikation haben einen großen Einfluss auf die Produktion, Distribution und Rezeption literarischer Texte. Sie verändern die Sprachen und Poetologien, die Medialität und Formen der Literatur, den literarischen Markt und seine Berufsprofile, und sie stellen die literaturwissenschaftliche Forschung und Lehre vor grundsätzliche begriffliche, konzeptionelle und methodologische Herausforderungen.

Die germanistische Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen kann inzwischen selbst historisiert werden: Das Webportal netzliteratur.net (hg. v. Johannes Auer, Christiane Heibach und Beat Suter) greift bis in die 1990er Jahre zurück, das Magazin Dichtung digital (hg. v. Roberto Simanowski) veröffentlichte seine Ausgaben von 1999 bis 2014, größere Forschungsprojekte in Siegen (2002-2012, Peter Gendolla/Jörgen Schäfer) und Göttingen (2013-2018, Karin Hoff/Claudia Stockinger/Simone Winko) erforschten die vernetzte Literatur. Aktuell gehen vielfältige germanistische Gruppen- und Einzelprojekte netzliteraturwissenschaftlichen Fragestellungen nach, weshalb es an der Zeit ist, eine systematische Perspektive auf diese Forschungsfelder zu entwickeln.

Was ist ‚Netzliteraturwissenschaft‘?

Dabei sind verschiedene Bereiche voneinander abzugrenzen: 1) eine Digitale Literaturwissenschaft als größere Einheit, die sich insbesondere mit der Anwendung digitaler Methoden in der Textanalyse und der Erstellung digitaler Editionen beschäftigt (vgl. DFG-Symposium 2017); 2) die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit algorithmisch erzeugten Literaturen, die dem Bereich der Netzkunst zugehören und Fragen nach dem Verhältnis von Künstlicher Intelligenz und Literatur stellen, also eine Literaturwissenschaft der Künstlichen Intelligenz und Netzkunst; 3) und schließlich eine Netzliteraturwissenschaft, die sich auf die (interaktive) Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur sowie die Online-Literaturkritik und -vermittlung in Sozialen Medien konzentriert und dazu Spezialwissen sowie interdisziplinär inspirierte Begriffe und Methoden nutzt. Mögliche Gegenstandsbereiche sind Phänomene wie die Twitteratur, Litblogs, die Instapoesie, Social Reading-Portale oder die Fan Fiction.

Alleine in den letzten Monaten haben sich germanistische Konferenzen in u.a. Basel, Berlin, Essen, Greifswald, Innsbruck und Stuttgart komplett oder in Teilen mit netzliteraturwissenschaftlichen Fragen beschäftigt; auch für den Germanistentag 2022 sind mehrere Panels ausgeschrieben, die sich mit Literatur in Sozialen Medien befassen. Es scheint evident, dass diese Themen für die Gegenwart und Zukunft der literaturwissenschaftlichen Forschung und Lehre immer wichtiger werden.

Aufbau einer nachhaltigen Forschungscommunity

Die Systematisierung der vielfältigen Ansätze und Fragestellungen ist auf die Etablierung einer Forschungscommunity angewiesen, die sich in der Zukunft in einem intensiven Austausch und selbstorganisiert der Klärung netzliteraturwissenschaftlicher Fragestellungen widmet. Die vDHd2021 ermöglicht in diesem Jahr verschiedene experimentelle Veranstaltungsformen, deshalb bietet es sich an, die Begründung einer netzliteraturwissenschaftlichen Community mit einem online vernetzten Konferenzformat zu starten.

In diesem Rahmen ist im August 2021 die Plattform netzliteraturwissenschaft.net gelauncht worden, von dort aus wird ein regelmäßiger Newsletter als Informationsformat dienen. Vor allem aber wird vom 6.-8. September 2021 eine Online-Konferenz unter dem Titel „Netzliteraturwissenschaft: Was wissen wir? Wie wissen wir? Was wollen wir wissen?“ grundsätzliche Fragen zu klären versuchen. Dabei sollen nachhaltige Verfahren der digitalen Kollaboration, Erkenntnisproduktion und Qualitätssicherung im Sinne der Open Humanities genutzt und etabliert werden.

Bereiche der Netzliteraturwissenschaft und Konferenzthemen

Auf der Konferenz geht es darum, verschiedene Arbeitsbereiche einer Netzliteraturwissenschaft abzugrenzen, bisherige Erkenntnisse zu bündeln, nach Desideraten zu fragen, methodologische und begriffliche Standards und mögliche Formen der Zusammenarbeit zu diskutieren. Dabei werden zunächst grundsätzliche Fragen der Geschichte und Gegenwart sowie der Abgrenzung einer Netzliteraturwissenschaft reflektiert, unter anderem einleitend vom Kurator der Konferenz und von Christiane Heibach (Regensburg) und Jörgen Schäfer (Siegen), die schon vor zwei Dekaden zu Fragen der Netzliteraturwissenschaft geforscht haben, sowie von Svenja Hagenhoff (Erlangen-Nürnberg) und Gerhard Lauer (Mainz), die aus Sicht der Buchwissenschaft grundsätzliche Fragen stellen werden.

Im Kern der Konferenz steht die Differenzierung und Analyse netzliteraturwissenschaftlicher Medienformate mit qualitativen und quantitativen Methoden. Hierzu gibt es inzwischen eine Vielfalt von Ansätzen, die sich unter anderem mit der Twitteratur, Litblogs, der Fanfiction oder Computerspielen befassen und dabei die multimodale Gestaltung, die Performativität, die Intertextualität oder die Akteur-Netzwerk-Beziehungen untersuchen. Konstanze Marx (Greifswald) vertritt die Internetlinguistik und Elias Kreuzmair (Greifswald) das DFG-Projekt Schreibweisen der Gegenwart, weitere methodologische und inhaltliche Expertisen bringen Maren Conrad (Erlangen-Nürnberg), Lore Knapp (Bielefeld), Julia Nantke (Hamburg) und Ann-Marie Riesner (Düsseldorf) ein.

Ein verwandter Forschungsbereich untersucht Literaturkritik und literarische Kommunikation in Sozialen Medien. Im Projekt Rez@Kultur haben sich Guido Graf, Anna Moskvina (Hildesheim) und Kristina Petzold (Bielefeld) eingehend mit der Digitalisierung kultureller Rezensionsprozesse befasst, Gunther Martens und Lore De Greve (Gent) erforschen die Online-Literaturkritik rund um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Berenike Herrmann (Bielefeld), Thomas Messerli (Basel) und Simone Rebora (Bielefeld) präsentieren computationelle Analysen von Wertungspraktiken auf Lovelybooks.

Für solche Analysepraktiken ist die Archivierung von Netzliteratur und Forschungsdaten eine wichtige Voraussetzung. Dieser Herausforderung begegnen Claus-Michael Schlesinger, Gabriel Viehhauser (Stuttgart) und Mona Ulrich (Deutsches Literaturarchiv Marbach) im Rahmen ihres SDC4Lit-Projekts. Doch nicht nur die forschende Auseinandersetzung mit Literatur in Sozialen Medien ist innerhalb der Netzliteraturwissenschaft wichtig, sondern auch das Nachdenken über die Potenziale und Praktiken der Didaktik und Wissenschaftskommunikation einer vernetzten Literaturwissenschaft. Gunhild Berg (Halle) hat im Projekt Deutsch Didaktik Digital mitgearbeitet und forscht zu Fragen einer netzliteraturwissenschaftlichen Didaktik, Andrea Geier (Trier) stellt das Projekt #RelevanteLiteraturwissenschaft vor. Weitere Arbeitsbereiche wie die Digital Literacy oder die Netzkritik werden ebenfalls adressiert.

Schließlich bietet die Konferenz, neben vielfältigen Formen des Austauschs und der Diskussion, auch die Möglichkeit, im Aufbau befindliche bzw. aktuell laufende Einzelprojekte zu netzliteraturwissenschaftlichen Fragestellungen kurz vorzustellen: Dissertations-, Habilitations- und Postdocprojekte von Forscher*innen aus u.a. Berlin, Graz, Innsbruck, Trier und Wien werden präsentiert. Schließlich bereichert eine Reihe von geladenen Diskutant*innen die Konferenz, die entweder bereits zu diesen Fragestellungen gearbeitet haben, allerdings gerade kein laufendes Projekt vorstellen wollen, oder die zu verwandten Fragestellungen arbeiten.

Möglichkeit zur aktiven oder passiven Teilnahme

Es ist das zentrale Anliegen der Konferenz, zu netzliteraturwissenschaftlichen Fragen Forschende breit zu vernetzen. Daher gibt neben den eingeladenen Sprecher*innen noch die Partizipationsmöglichkeit als geladene*r Diskutant*in. Damit zwar einerseits so viele Teilnehmer*innen wie möglich partizipieren können, andererseits jedoch die Interaktivität und die wissenschaftliche Qualität gewährleistet bleiben, wurde auf die folgenden Voraussetzungen geachtet: Die aktiven Teilnehmer*innen sollten aktuell an einer Hochschule aktiv und nach Möglichkeit mindestens mit Ihrer Dissertation beschäftigt sein; sie sollten ein Projekt zu einer netzliteraturwissenschaftlichen Frage gerade bearbeiten oder abgeschlossen haben; Sie sollten zu den zentralen Fragen der Konferenz (Netzliteraturwissenschaft: Was wissen wir? Wie wissen wir? Was wollen wir wissen?) beitragen können; auch die Diversität des Sprecher*innenkreises wurde dabei berücksichtigt.

Die Konferenz wird über unseren Youtube-Kanal als Livestream und Aufzeichnung verfügbar gemacht, damit die passive Teilnahme auch einer größeren Gruppe nachhaltig möglich sein wird. Wenn Sie sich dafür interessieren, können Sie den Newsletter zur Netzliteraturwissenschaft abonnieren (einfach eine Email mit dem Betreff „Netzliteraturwissenschaft“ an den Kurator senden: thomas.ernst [at] uantwerpen.be).

Es gibt verschiedene Ideen für gemeinsame Veröffentlichungen und weitere Formen der Kooperation im Anschluss an die Konferenz, Genaueres dazu wird auf der Konferenz unter den aktiven Teilnehmer*innen besprochen.

Webplattform, Hashtags und Unterstützer

Aktuelle und erweiterte Informationen finden Sie auf der Webplattform netzliteraturwissenschaft.net. Nutzen Sie in den Sozialen Medien bitte das Konferenz-Hashtag #NetzLW21 sowie die allgemeinen Hashtags #Netzliteraturwissenschaft und #NetzLW.

Die Teilnahme an der Konferenz ist kostenfrei. Sie wäre nicht denkbar ohne die Unterstützung der vDHd2021, des Departement Letterkunde der Universiteit Antwerpen, des Antwerp Centre for Digital Humanities and Literary Criticism der Universiteit Antwerpen sowie der Amsterdam School of Cultural Analysis der Universiteit van Amsterdam.

Sie finden noch weitere Informationen: