Netzliteraturwissenschaftliche Netzkritik

Es sind bereits zahlreiche kritische Bücher über das World Wide Web und die Sozialen Medien veröffentlicht worden, einige davon stammen aus der Germanistik und der Literaturwissenschaft. Dabei wäre aber zu unterscheiden zwischen einer literaturwissenschaftlichen Netzkritik, die den Bildungs- und Erkenntniswert des gedruckten Buchs gegen die Digitalisierung zu verteidigen versucht und dabei nur „Standardsituationen der Technologiekritik“ (Kathrin Passig) nachspielt, sowie einer netzliteraturwissenschaftlichen Netzkritik, die grundsätzlich die Potenziale der Sozialen Medien begrüßt, um dann jedoch die Unterschiede zwischen den Versprechungen und den Realitäten der vernetzten Welt zu beschreiben. Dazu gehört das Nachdenken über eine Ethik der Netzwerke und Plattformen, die Kritik der monopolisierten und intransparenten Plattformpolitiken sowie konkreter Phänomene wie der rassistischen und sexistischen Hate Speech.

Bereits 1997 wurde das erste deutschsprachige Werk zur „Netzkritik“ vorgelegt, insbesondere initiiert von Geert Lovink. Allerdings blieb diese Form der netzaffinen Netzkritik in der Folge vor allem eine Angelegenheit von Medienwissenschaftler*innen wie Mercedes Bunz, Christoph Engemann, Ramón Reichert und Mirko Tobias Schäfer oder von Organisationen wie Algorithm Watch, dem Chaos Computer Club, Digitale Gesellschaft e.V. oder Netzpolitik.org. Nicola Gess hat allerdings jüngst in ihrem Buch „Halbwahrheiten“ (2021) zeigen können, wie eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf Verschwörungsmythen und Hass (auch) im World Wide Web kritische Potenziale entwickeln kann.