Disziplinäre Systematik: Kultur der Digitalität, Netzliteraturwissenschaft und (Digitale) Literaturwissenschaft

Mit der Etablierung einer „Kultur der Digitalität“ (Felix Stalder) verändern sich die medialen Grundbedingungen für die Produktion, Distribution und Rezeption sowie die Möglichkeiten zur Analyse literarischer Texte nachhaltig. Auch die Arbeits-, Lebens-, Kommunikations- und Erkenntnisbedingungen in der Informations- oder Netzwerkgesellschaft sind andere als noch in der Gutenberg-Galaxis, in der sich die Germanistik und die germanistische Literaturwissenschaft als Disziplinen entwickelt haben.

Mit den Digital Humanities und der Digitalen Literaturwissenschaft (vgl. dazu: Jannidis 2016) haben sich daher neue disziplinäre Selbstverständnisse entwickelt, die in einer breiten Form die Potenziale der Digitalisierung für eine bessere Produktion, Kommunikation und Archivierung des Wissens nutzen möchten. Die Netzliteraturwissenschaft ist ein spezifischer Teil dieser Anstrengungen und widmet sich der Erforschung von netzliterarischen Gegenständen und der vernetzten Kommunikation über Literatur, insbesondere in Sozialen Medien. Dabei muss allerdings die Systematik der (Digitalen) Literaturwissenschaft, der Digital Humanities und der Netzliteraturwissenschaft, die sich auf einen hochgradig dynamischen Gegenstandsbereich und daher selbst im Wandel sind, immer im (selbstkritischen) Blick behalten werden.

2017 widmete sich ein DFG-Symposium in der Villa Vigoni der Aufgabe, das Forschungsfeld der Digitalen Literaturwissenschaft genauer zu umreißen (der Tagungsband erscheint bald bei Metzler). Constanze Baum und Simone Winko haben sich grundsätzlichere Gedanken über die „Literaturwissenschaft im digitalen Zeitalter“ bzw. über „Literatur und Literaturwissenschaft im digitalen Zeitalter“ gemacht. Während in der Sprachwissenschaft Konstanze Marx und Georg Weidacher bereits 2014 mit der „Internetlinguistik“ einen systematischen Entwurf vorgelegt haben, wie die Erforschung der vernetzten Kommunikation im World Wide Web in der Linguistik angegangen werden sollte, soll ein solcher in der Nachbardisziplin unter dem Begriff der Netzliteraturwissenschaft entwickelt werden (vgl. auch die Habilitationsschrift zur Begründung der Netzliteraturwissenschaft von Thomas Ernst, die 2022 bei de Gruyter erscheinen wird).